Durch die urwaldähnliche Natur im Nationalpark Kellerwald-Edersee
Auf insgesamt sechs Etappen umrundet der 66 Kilometer lange Urwaldsteig den Edersee. Er lässt dabei keinen Seitenarm und keine in den See hinein ragende Landzunge der stark verzweigten Talsperre aus. Dabei ermöglicht die Route herrliche Ausblicke auf das beeindruckende, von Menschenhand geschaffene Stauwerk und die dadurch entstandene Seenlandschaft im Nordhessischen Bergland. Der Streckenverlauf des Urwaldsteigs-Edersee weist neben breiten naturbelassenen Wald- und Uferwegen zu einem enorm hohen Anteil schmale, erdige Waldpfade auf. Ausgedehnte Altbuchenwälder in steilen Hanglagen, Knorreichenbestände mit skurrilen Wuchsformen und viel Totholz rechts und links des Weges verleihen der Wanderung einen nahezu urwaldähnlichen Charakter. So ist es nicht verwunderlich, dass der 7.688 ha große Nationalpark Kellerwald-Edersee im Jahre 2011 durch die UNESCO zum Weltkulturerbe erhoben wurde.
Vom Nationalpark-Bahnhof läuft der Urwaldsteig an der Uferpromenade von Herzhausen entlang
Vom Nationalpark-Bahnhof an der Ederbrücke in Herzhausen starten wir in das Abenteuer Urwaldsteig. Auf dem dort anzutreffenden Parkplatz steht ausreichender, kostenloser Parkraum zur Verfügung. Wir haben uns entschlossen, die nördliche Variante des Urwaldsteigs zu erwandern und dabei die 2. und 3. Etappe des Weitwanderweges von Herzhausen nach Asel und von Asel nach Nieder-Werbe miteinander zu verbinden. Auf diese Art und Weise sind satte 25 Wanderkilometer zu bewältigen. Gleich zu Beginn marschieren wir auf asphaltiertem Grund an der Uferpromenade von Herzhausen entlang. Es ist noch früh am Tag. Über dem Edersee liegen noch graue Nebelfetzen. Sie widersetzen sich den zaghaften Sonnenstrahlen, die bereits durch die Wolken brechen und einen sonnigen Tag verheißen.
Unterhalb des 395 Meter hohen Hochsteins geht es hoch über dem Edersee durch holprige Blockschutthalden
Schließlich verlässt der Urwaldsteig scharf links schwenkend für kurze Zeit den Uferbereich des Edersees und steigt mit einem breiten Waldweg in den Hang. Auf der Anhöhe besteht die Möglichkeit einen kurzen Abstecher zum Polenkreuz zu unternehmen, einer Gedenkstätte, die an die Ermordung von sechs polnischen Zwangsarbeitern durch die SS im Jahre 1942 erinnert. Vom Polenkreuz fällt der Urwaldsteig mit einem windungsreichen Pfad wieder in den Uferbereich der Talsperre hinab. Breite, oftmals eintönige Uferwege führen jetzt am Edersee entlang, der sich bisweilen rechts der Route hinter frühlingshaftem Grün zeigt. Wir überschreiten ein stark mäanderndes Gewässer das dem Edersee zustrebt und passieren den Jugendzeltplatz Vöhl-Herzhausen. In halber Hanglage geht es durch die steil abfallende Flanke des 395 Meter hohen Hochsteins über holprige Blockschutthalden hinweg. Eine Halbinsel mit der Jugendherberge Hohe Fahrt wird umrundet. Danach läuft der Urwaldsteig parallel zum Einmündungsarm es Aselbachs in den Edersee sanft ansteigend zum Dorfrand der Ortschaft Asel hinauf.
Vom Aussichtspunkt Katzenstein im Knorreichenstieg fällt der Blick auf die silbrig glänzende Wasserfläche des Edersees
Hinter dem Seniorenheim Edersee in Asel-Bucht wird der Aselbach überschritten. Am dortigen Wanderparkplatz "Strieder Eiche" beginnt der Knorreichenstieg, der zusätzlich mit dem Elsbeerenblatt markiert ist und seit Jahren naturbegeisterte Wanderer anzieht. Mit seinem pfadigen und ausgesprochen abwechslungsreichen Verlauf ist er das Highlight auf der 3. Etappe des Urwaldsteigs von Asel nach Nieder-Werbe. Schon kurz nach dem Einstieg gelangen die Wanderer zum Aussichtspunkt Katzenstein, der einen herrlichen Blick auf den Edersee ermöglicht. Mit einer Wasseroberfläche von fast 12 km² und einem Stauvolumen von nahezu 200 Mio. m³ ist der Edersee die zweitgrößte Talsperre Deutschlands. Sie dient der Energiegewinnung und der Bereitstellung von Bedarfswasser für die Binnenschifffahrt auf der Weser und dem Mittellandkanal. Hinzu gesellt sich sein bedeutsamer Erholungswert in der nordhessischen Region. Das monumentale Stauwerk wurde im Jahre 1914 vollendet. Es wird mit dem Durchlauf der Eder und dem Zufluss mehrerer Nebengewässer gespeist.
Im Bereich der Halbinsel Lindenberg läuft der Urwaldsteig eine Weile direkt am Ufer des Edersees entlang
Mit dem Knorreichenstieg wandern wir durch urwaldähnliche Eichen- und Buchenbestände, die zu den außergewöhnlichsten Wäldern Deutschlands und Westeuropas zählen. Auch in diesem Teilabschnitt sind im Steilhang Blockschutthalden aus Grauwacke zu durchqueren. Immer wieder werden dabei herrliche Aussichtspunkte angelaufen, die einen Blick auf den weit verzweigten Edersee gestatten. So zeigt sich der Urwaldsteig bei der Umrundung der Halbinsel Lindenberg ausgesprochen kurzweilig und überrascht uns immer wieder mit seiner abwechslungsreichen Streckenführung. Im Bereich der Burgwüstung Hünselburg fällt die Route vom Lindenberggrat auf Serpentinenpfaden bis zum Ufer des Edersees hinab und läuft eine Weile unmittelbar am Gewässer entlang. Bei einer kurzen Rast beobachten wir zwei Segelboote die nahezu lautlos über den leicht welligen Wasserspiegel der Talsperre hinweggleiten.
Im Zielort Nieder-Werbe ragt im Reiherbach-Vorstaubecken die Kirchturmspitze des im Edersee versunkenen Kirchleins empor
Kurz darauf führt der Urwaldsteig am DKV-Campingplatz-Edersee vorbei. Hier nutzen wir die Gelegenheit, um in der Gaststätte Fürstentalklause Einkehr zu halten. Nach der wohlverdienten Wanderpause geht es zum Naturschutzgebiet Kahle Hardt hinauf. Hier hat man mehrhundertjährige Eichen, die zu den ältesten Waldbeständen Mitteleuropas zählen, unter Schutz gestellt. Im Anschluss daran umrundet der Urwaldsteig die Halbinsel Scheid. In ständigem Auf und Ab, unter Umgehung mehrerer tief eingekerbter Bachtäler, teilweise auch auf geschotterten Waldwegen, wandern wir nach Nieder-Werbe, dem Zielort dieser beeindruckenden Streckenwanderung. Im Reiherbach-Vorstaubecken ist beim Zieleinlauf die Kirchturmspitze des versunkenen Kirchleins zu sehen, dass durch die Einrichtung der Talsperre unter Wasser geriet. In der gesamten Edersee-Region verloren damals etwa 900 Menschen durch den Bau der Ederstaumauer ihre Heimat. Ganze Dörfer wurden geflutet und mussten umgesiedelt werden. In Nieder-Werbe endet die schöne Streckenwanderung über die 2. und 3. Etappe des Urwaldsteigs-Edersee.
Fazit und abschließende Bemerkungen:
Ganz ohne Zweifel windet sich der Urwaldsteig-Edersee in Premiumqualität um die weitläufige Talsperre im Nordhessischen Bergland. Die Bezeichnung ist den uralten Baumbeständen in den steil zum Edersee abfallenden Hanglagen geschuldet, weniger den vom menschlichen Auge erfassten Zuständen entlang der Route. Sicherlich liegt viel Totholz rechts und links des Weges. Immer mal wieder sind auch quer zur Route liegende Windwürfe zu übersteigen oder zu umgehen. Aber von undurchdringlichem Urwald, herabhängenden Lianen und dergleichen ist die Region noch weit entfernt. Da eine Waldbewirtschaftung im Nationalpark Kellerwald-Edersee nur noch bedingt stattfindet, wird ein solcher Zustand sicherlich angestrebt. Besonders hervorzuheben sind die pfadige Streckenführung über den Knorreichenstieg und die unterwegs immer wieder anzutreffenden herrlichen Ausblicke auf den Edersee. Die Beschilderung ist nahezu unverlaufbar angebracht. Allerdings hat man es versäumt, eine entsprechende Anzahl von Ruhebänken, Rastmöglichkeiten und Schutzhütten einzurichten. So ist der Wanderer gezwungen, die mitgeführte Brotzeit auf umgestürzten Baumstämmen sitzend zu verzehren, was auch nicht weiter schlimm ist.