Aus der Nieder-Werber-Buch zur mächtigen Ederseestaumauer
Auf dem rund sechzehn Kilometer langen Teilabschnitt von Nieder-Werbe nach Hemfurth führt der Urwaldsteig-Edersee auf verschlungenen Waldpfaden zu einer ganzen Reihe von herausragenden Aussichtspunkten auf die Talsperre und die beeindruckende Ederseestaumauer. Faszinierende Waldbilder in den uralten Buchen- und Knorreichenbeständen entführen den Wanderer scheinbar in die Welt der Gnome und Kobolde. Bizarre Felsengebilde werden passiert und holprige Blockhalden sind zu durchsteigen. Entwurzelte Baumriesen liegen quer zum Weg und zahlreiches, von Spechten als Nisthöhlen genutztes Totholz sorgt für ein urwaldähnliches Wandererlebnis im Nationalpark Kellerwald-Edersee. Auf der nachfolgend beschriebenen Streckenwanderung umrundet der Urwaldsteig den Edersee entlang seiner östlichen Ausdehnung bis zur Staumauer, die von Besuchern begangen werden kann.
Vom Aussichtspunkt Mühlecke fällt der Blick auf die blau schimmernden Wasser der Talsperre
Aus der Nieder-Werber-Bucht an der Einmündung der Werbe in den Edersee starten wir in den Teilabschnitt des Urwaldsteigs von Nieder-Werbe nach Hemfurth. Am südlichen Ortsrand von Nieder-Werbe befindet sich ein kostenloser Parkplatz. Die vor uns liegende Streckenwanderung umfasst die 4. und 5. Etappe des Weitwanderweges. Gleich zu Beginn überqueren wir mittels einer Straßenbrücke das Reiherbach-Vorstaubecken. Sogleich schwenkt die Route nach links und läuft eine Weile gen Norden am Vorstaubecken entlang. Am jenseitigen Ufer ragt die hölzerne Kirchturmspitze des Kirchleins empor, das beim Aufstauen der Edertalsperre geflutet wurde. An einem weithin sichtbaren Schild mit der Aufschrift „Einstieg Urwaldsteig“ geht es scharf rechts schwenkend in den bewaldeten Hang. Wenig später passieren wir die winzige Horst-Hühn-Hütte. Erdige Waldpfade geleiten uns zum Aussichtspunkt Mühlecke. Über Krüppeleichenbeständige im steilen Berghang fällt der Blick von der Anhöhe auf die blau schimmernden Wasser der gigantischen Talsperre.
Der Urwaldsteig läuft durch das schluchtartige Bärenbachtal mit seiner üppigen Pflanzenwelt
Auch im weiteren Verlauf lässt die Attraktivität der Route keine Wünsche offen. Ihr ausgesprochen pfadiger Verlauf durch die vielfältige Vegetation lässt das Herz eines jeden Wanderers höher schlagen. Das nächste anzulaufende Highlight ist das Bärenbachtal. Über die Jahrtausende hat sich der Bärenbach tief in das aus Tonschiefer und Grauwacke bestehende Gestein der Ederberge hinein geschnitten. Die zu Tal stürzenden Wasser, die feuchte Luft und die Nährstoffe aus dem oberhalb der Schlucht liegenden Zechsteins sorgen auch hier für eine üppige Pflanzenwelt. Das munter sprudelnde Gewässer wird über die hölzerne Herzogbrücke überschritten. Gleich dahinter führt ein schmaler Pfad mit der Bezeichnung „Jägerstiege“ windungsreich und steil bergan. Leicht abfallend geht es danach in halber Hanglage hoch über dem Edersee, der sich rechter Hand immer wieder zeigt, durch die Waldecker Bucht. Schließlich gelangen die Wanderer zur Talstation der Waldecker Bergbahn, der ältesten Gondelbahn Hessens. Wegen eines Betreiberwechsels musste sie zumindest für die laufende Saison 2024 ihren Fahrbetrieb einstellen.
Schloss Waldeck wurde erstmals 1120 urkundlich erwähnt und war die Residenz der Grafen von Waldeck
Der Urwaldsteig umrundet im weiteren Verlauf den Schlossberg, dem Schloss Waldeck seinen Namen verliehen hat. Die auf dem Berggipfel thronende und schlossartig ausgebaute Höhenburg wurde erstmals im Jahre 1120 urkundlich erwähnt. Im Mittelalter diente sie als Residenz der Grafen von Waldeck. Heute beherbergt das mittelalterliche Gemäuer ein Burgmuseum und eine Hotelanlage. Bei einem vom Urwaldsteig möglichen Abstecher kann man Schloss Waldeck besuchen und herrliche Ausblicke auf die Ederseestaumauer und über die Talsperre hinweg bis weit in den Kellerwald genießen. Nach einem weiteren schönen Ausblick auf den Edersee trifft der Urwaldsteig am Rand der Stadt Waldeck auf das Bio-Residenz-Hotel in der Bahnhofstraße. Hier endet die 4. Etappe des Urwaldsteigs. Der Einstieg in den 5. Teilabschnitt beginnt mit einem urigen Pfad, der sich steil abfallend talwärts windet. Knorrige Wurzeln und uralte Eichen mit skurrilen Wuchsformen, die man tatsächlich mit Gnomen und Kobolden in Verbindung bringen möchte, säumen den Weg.
Entlang der Hangkante des Ziegenberges werden eine ganze Reihe von grandiosen Aussichtspunkten angelaufen
Schließlich steigt der Urwaldsteig aus halber Hanglage zum Plateau der Ziegenberges hinauf. Der sich anschließende Routenverlauf entlang der Abbruchkante ist wohl der aussichtsreichste Teilabschnitt des Weitwanderweges. Als erstes wird der Felsenhorst des Hexenkopfes angelaufen. Der Sage nach wurden im Mittelalter hier Hexen dem Feuer übergeben. Die im Volksmund weit verbreitete Mär ist allerdings nicht belegt. Vom Hexenkopf fällt ein erregender Tiefblick auf den Edersee. Schon kurz darauf führt die Wanderer ein nur 50 Meter langer Abzweig zur Hermannshöhe. Auch von diesem Panoramapunkt zeigt sich die riesige Talsperre in grandioser Weise. Ein Ausflugsboot der Ederseeschifffahrt gleitet gerade über das Gewässer hinweg. Hinter der Hermannshöhe verlässt der Urwaldsteig für kurze Zeit die Hangkante und läuft, aus dem Wald heraustretend, durch die rückwärtige Feldflur. Ein breiter geschotterter Weg führt alsbald am Waldrand entlang.
Vom Aussichtspunkt „Auf den Klippen“ zeigt sich die Ederseestaumauer aus der Vogelperspektive
Scharf rechts schwenkend geht es wieder in den Forst hinein und zur Kanzel hinüber, einer 399 Meter hohen Erhebung der Ederberge. An der dortigen Friedrich-Mayer-Hütte halten wir Wanderrast und genießen erneut traumhafte Ausblicke auf den Edersee. Auch Schloss Waldeck ist von hier aus gut zu sehen. Nach Umrundung des Uhrenkopfes gelangen die Wanderer zum Aussichtspunkt „Auf den Klippen“. Die gigantische Ederseestaumauer kann von diesem Felsennest aus der Vogelperspektive in Augenschein genommen werden. Am 17. Mai 1943 wurde das Stauwerk während des 2. Weltkriegs von der Royal Air Force durch den Abwurf einer Rotationsbombe stark beschädigt. In der Folge ergoss sich eine 6 – 8 Meter hohe Flutwelle durch das untere Edertal, die unzählige Menschen das Leben kostete. Vom Uhrenkopf geht es parallel zur Eder und sanft abfallend ins Flusstal. In Hemfurth wird die Eder überschritten und sodann zur 48 Meter hohen Staumauer hinüber marschiert. Wir betreten das gewaltige Bauwerk durch ein Torhaus und erfreuen uns an herrlichen Weitblicken über die Talsperre und hinauf zum Schlossberg mit Schloss Waldeck. Eine Bootsfahrt mit der Ederseeschifffahrt beendet diese traumhafte Wanderung über den Urwaldsteig.
Fazit und abschließende Bemerkungen:
Der Teilabschnitt des Urwaldsteigs von Nieder-Werbe nach Hemfurth-Edersee ist sicherlich eine der erlebnisreichsten Etappen auf dem 66 Kilometer messenden Weitwanderweg im Nordhessischen Bergland. Neben einer ausgesprochen pfadigen und abwechslungsreichen Routenführung weist die sechzehn Kilometer lange Streckenwanderung in weiten Teilen beginnende urwaldähnliche Zustände auf, die sicherlich in den kommenden Jahrzehnten durch die Selbstüberlassung der Natur und das Ausbleiben der Waldbewirtschaftung noch eine Verstärkung erfahren werden. Neben herausragenden Eindrücken bezüglich Flora und Fauna, sind die grandiosen Ausblicke auf die Talsperre, auf Schloss Waldeck und die Ederseestaumauer weitere Highlights, die dieser Streckenwanderung ohne Zweifel Premiumcharakter verleihen. Die Beschilderung ist nahezu unverlaufbar angebracht. Rast- und Ruheplätze sind manchmal knapp bemessen und dann wieder in ausreichender Zahl vorhanden. Zudem bieten sich unzählige umgestürzte Baumriesen zur Rast an.